Menschen haben das dringende Bedürfnis, ihr Leben in einen sinnstiftenden Bedeutungszusammenhang zu bringen. Es kann durchaus so sein, dass unsere Lebensläufe aus einer Aneinanderreihung glücklicher oder weniger glücklicher Umstände besteht. Aber so sehen wir das nur sehr ungern. Wir möchten gerne, dass unsere Lebensgeschichte eine konsistente Erzählung ist. Das mag ein Grund dafür sein, dass viele Leute sich an einen Lebensberater wenden, der sozusagen Ordnung in das Durcheinander bringen soll. Man kann sich jedoch auch mit Freunden und Verwandten dahingehend austauschen. In Firmen ist es ein sehr übliches Ritual, dass man am Ende eines Jahr evaluiert. In aller Regle übernimmt der Geschäftsführer den Rückblick und stellt die Strategie für das kommende Jahr dar. Aber natürlich kann man eine Rückblick und Ausblick auch im privaten Kreis abhalten, um die Kompassnadel gut auszurichten, bevor man sich wieder in die Hektik des Alltags begibt. Das wäre doch einmal ein interessantes Thema für ein Zusammentreffen.
Als Gastgeberin oder Gastgeber könnten Sie gleich auf der Einladung bekanntgeben, dass Sie sich gerne zu den genannten Themen austauschen möchten. Selbstverständlich darf das alles mit einer gewissen Leichtigkeit vonstatten gehen. Für eine solche Einladung bietet sich der bekannte Satz des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard an:
Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts.
Das ist doch ein inspirierender Aufhänger für ein Treffen, das über die bloße Geselligkeit hinausgeht. Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert, die Gespräche einmal in eine etwas tiefgreifendere Richtung zu lenken. Der Silvesterabend selbst regt viele Menschen zum Sinnieren an. Aber es kann natürlich auch sehr gut sein, dass Sie an diesem Abend einfach ausgelassen feiern und keine private Intervisionsrunde veranstalten möchten. Deshalb kann ein solcher Austausch natürlich zum Beispiel auch zu Anfang des Jahres stattfinden.
Wie könnte man einen solchen freundschaftlichen Rückblick und Ausblick in die richtigen Bahnen lenken?
Es gibt verschiedene Kartenspiele, die wertvolle Anstöße für tiefgründige Gespräche liefern können. Damit bleibt das Ganze spielerisch. Es empfiehlt sich zum Beispiel ein Kartenspiel-Set von dem renommierten Institut The School of Life. Selbstverständlich gibt es jedoch noch andere Möglichkeiten, das Jahr in vergnüglicher Runde aufzuarbeiten. Der Begriff des Homo narrans, also des erzählenden Menschen, fasst immer stärker Fuß. Zu diesem Thema ist zum Beispiel das äußerst aufschlussreiche Buch Erzählende Affen erschienen. Dabei gilt das Storytelling als wesentliches Element der menschlichen Kultur. Was liegt also näher als das Erzählen von Geschichten in den Mittelpunkt des menschlichen Zusammenseins zu rücken und es gleichzeitig auch in seiner Funktion zu hinterfragen. Man kann also zuerst einmal fragen, welche Episoden aus dem vergangenen Jahr als besonders erfreuliche, erstaunlich oder auch traurig empfunden wurden. Man kann dann jedoch auch nachfragen, weshalb gerade diese speziellen Ereignisse hervorgehoben werden, die in der Regel der Unterstreichung eines bereits vorhandenen Selbstbildes dienen. Dieses Selbstbild scheint sich jedoch gerade auch auf das Bild zu stützen, von dem eine Person annimmt, das sich andere von ihr gebildet haben. Ist es nicht unglaublich spannend und lohnenswert, diese herrschenden Bilder und deren Untermalung in Form von Geschichten gegenseitig auszuloten?